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Titel
Chronik des Konstanzer Konzils 1414–1418. Eingeleitet und herausgegeben von Thomas Martin Buck


Autor(en)
Richental, Ulrich
Reihe
Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 41
Erschienen
Ostfildern 2010: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
LIX, 250 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Die mit viel Geld und Aufwand betriebene, publikumswirksame Vermarktung des Konstanzer Konzils, dessen Abhaltung sich in Kürze zum 600. Mal jähren wird, wirft bereits sichtbare Schatten voraus. Und wie heute durchaus üblich, steht auch bei diesem Jubiläum zu erwarten, dass es im günstigeren Falle der Forschung neue Impulse geben kann, gewiss aber seinen Niederschlag im Festivitätenkalender und wohl ebenso auf dem Buchmarkt finden wird. Ob sich der gewaltige Aufwand und Medienrummel um das anstehende Ereignis lohnen, wird man allerdings erst im Nachhinein beurteilen können.

Schon jetzt darf man aber die von dem Freiburger Mediävisten Thomas M. Buck eingeleitete und besorgte Neuedition einer der wichtigsten Quellen zu diesem „kirchenhistorischen wie weltgeschichtlichen Ereignis“ (K. A. Fink) zu den Publikationen zählen, deren Wert auch weit über die Jubiläumsfeierlichkeiten hinaus Bestand haben wird. Richental, ihr spätmittelalterlicher Verfasser, war ein Konstanzer Bürger, Sohn eines früheren Stadtschreibers, der – in welchem Auftrag auch immer – eine Chronik der Kirchenversammlung verfasste, die die Sicht eines scheinbar Außenstehenden von den spektakulären Ereignissen wiedergibt. Richental war zwar an den Vorbereitungen des Konzils beteiligt, aber nicht in die internen Vorgänge des konziliaren Geschehens, den Beratungen und Verhandlungen involviert, denn er gehörte nicht zum engeren Kreis der Teilnehmer dieser Kirchenversammlung. Trotzdem verfügte er zweifellos über gut funktionierende Kanäle, durch die er mit internen Informationen und wichtigem Material versorgt wurde.1 Seine Chronik wirft – wenn man denn so will – einen spezifisch städtischen Blick auf das Geschehen, das sich zwischen 1414 und 1418 innerhalb der Mauern seiner Heimatstadt abspielte2, in der Konstanzer Handschrift allerdings verzerrt durch eine sichtbar lobrednerische Tendenz.

Noch während das Konzil in seiner Heimatstadt tagte, verarbeitete der Chronist die eigenen Beobachtungen mitsamt dem gesammelten Material zu einer ersten, um 1420 vollendeten Fassung. Diese heute nicht mehr erhaltene Urfassung wurde zur Vorlage für verschiedene, sich mitunter stärker unterscheidende Versionen, die entsprechend der Wünsche und Interessenlage ihrer Auftraggeber individuell bearbeitet wurden.3 Verschiedene deutsche Fassungen sind überliefert, darunter solche, in denen Richental sich als Verfasser zu erkennen gibt, und andere, die eher den Eindruck eines neutralen Beobachterstandpunkts erwecken wollen. Dass die Urfassung in lateinischer Sprache geschrieben war, wie lange behauptet wurde, beruht allerdings auf einem Missverständnis. Viel stärker als der Text wurden indes in der Rezeption die Bildzeugnisse der Chronik wahrgenommen; Hermann Heimpel sprach in diesem Zusammenhang gar von einer manifesten ‚Bildlastigkeit‘ der Richental-Rezeption (S. XV). In der Konsequenz führte dies auch dazu, dass die zahlreichen, ausschließlich den Text enthaltenden Fassungen in der Forschung reichlich vernachlässigt wurden. Von der Aulendorfer und der Konstanzer Handschrift4 abgesehen, wurde die darüber „hinausgehende Überlieferung bis heute eher unvollständig zur Kenntnis genommen“ (S. XIV). Nichtsdestoweniger prägen diese Bilderhandschriften5 und ihre Illustrationen in hohem Maße das Bild, das sich die breitere Öffentlichkeit bis heute von dem Konzilsgeschehen macht. Einzelne Bilder sind, wenn es um das Konzil geht, geradezu allgegenwärtig.

An dieser Stelle setzt Bucks Neuedition ein. Sein Text beruht auf der vollständigen Sichtung von insgesamt 23 Manuskripten – davon sieben Bilderhandschriften –, deren Entstehung aber erst nach Mitte des 15. Jahrhunderts anzusetzen ist, sowie der drei frühen Drucke der Richental-Chronik (Sorg/Augsburg 1483; Steyner/Augsburg 1536; Feyerabend/Frankfurt am Main 1575). Bucks Ausgabe folgt dabei der Aulendorfer Handschrift, auf die sich schon die am stärksten verbreitete Edition des Namensvetters Michael R. Buck6 aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert stützte, weil sie dem Ursprungstext am nächsten kommen soll (S. XXXI). Ihre Seiten- und Kapitelzählung wird auch in der vorliegenden Edition wiedergegeben. Ergänzt wird sie durch die in den Anmerkungen gebrachten Varianten der wichtigsten anderen Handschriften, wodurch bislang unbekannte Einzelheiten einer breiteren Forschungsöffentlichkeit zugänglich gemacht werden und außerdem eine Reihe von Unklarheiten insbesondere im Namensbereich beseitigt werden konnten. Die Sorgfalt dieser Edition, die ganz bewusst eine „kritische Leseausgabe“ (S. VI) sein will, jedoch nicht den Anspruch erhebt, eine historisch-kritische Ausgabe des Richental liefern zu wollen, macht sie nicht zuletzt wissenschaftlich voll zitierbar – ein keinesfalls zu unterschätzender Verdienst dieser Neuedition.

In einem 40-seitigen Einleitungsteil (S. XIII–LIII) gibt Buck vorweg einen Überblick zum Forschungsstand, anschließend geht er auf die Überlieferung der Chronik ein und legt zum Schluss die Prinzipien dar, die er der nachfolgenden Edition zugrundegelegt hat. In diesem Teil setzt er sich unter anderem dezidiert mit älteren Forschungsmeinungen auseinander, die vornehmlich die „Fehler“, Versäumnisse und Unzulänglichkeiten in Richentals Chronik auflisteten, ohne zu beachten, dass der Chronist wohl kaum „ein Geschichtswerk in unserem modernen Sinne“ (S. XVI) hatte schreiben wollen. Zu Recht sagt Buck: „Das Urteil über Richentals historiographische Leistung muss […] schon wegen der Heterogenität des vom Chronisten dargebotenen Materials und der damit verbundenen Herausforderungen sehr viel differenzierter ausfallen, als dies häufig der Fall war. Hinzu kommt sein [= Richentals] ausgeprägter Hang zum Erzählen. […] Die Grenze zwischen Historiographie und literarischer Charakteristik ist in seinem Werk jedenfalls nicht exakt gezogen.“ (S. XVII)

Den Hauptteil des Buches bildet der in der Tat gut lesbare Text der Neuedition. Der Anmerkungsteil ist knapp gehalten und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Varianten und Ergänzungen der anderen herangezogenen Manuskripte und Drucke. Darüber hinausgehende Literaturverweise sind eher spärlich, wobei nicht immer ganz klar wird, was deren Auswahl bestimmt hat. Der Edition folgt ein nützliches Glossar (S. 209–229), welches dem Leser das Verständnis des spätmittelalterlichen Textes erleichtern soll. Autor und Verlag sei es gedankt, dass sie nicht nur an die überschaubare Zahl der Spezialisten gedacht haben. Diesem Glossar schließt sich ein Orts- und Namenregister (S. 230–250) an, das sich allerdings auf den historisch-chronologischen Teil der Chronik beschränkt. Der umfangreiche Namenteil Richentals wird demgegenüber nicht erschlossen, wofür zweifellos gute Gründe sprechen. Trotzdem wird man Bucks Entscheidung bedauern. Im Übrigen weist das Fehlen auf ein Desiderat der Konstanz-Forschung hin. Zweifellos wäre dem Leser dieses Bandes auch ein Lageplan der erwähnten Gebäude, wie sie etwa in Otto Fegers Faksimiledruck der Richental-Chronik7 vorliegt, eine Hilfe gewesen. Sie hätte ihm eine topografische Einordnung des Geschehens erleichtern können.

Bucks Neuausgabe der Richental-Chronik setzt zweifellos Maßstäbe für die zu erwartende Flut von Neuveröffentlichungen zum Konstanzer Konzil. Möglicherweise kann der voraussagbare Erfolg dieses auch preislich attraktiven Bandes ein Anstoß sein, andere wichtige Quellen zum Konstanzer Konzil in neuen und zugleich benutzerfreundlichen Ausgaben vorzulegen und damit der Forschung Impulse zu verleihen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Thomas Martin Buck, Fiktion und Realität. Zu den Textinserten der Richental-Chronik, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 149 (2001), S. 61–96.
2 Vgl. Wilhelm Matthiessen, Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils. Studien zur Behandlung eines universalen Großereignisses durch die bürgerliche Chronistik, in: Annuarium Historiae Conciliorum 17 (1985), S. 71–191, 323–455.
3 Gisela Wacker, Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils und ihre Funktionalisierung im 15. und 16. Jahrhundert, Diss. Tübingen 2001, online verfügbar unter: <http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-5203> (09.03.2011).
4 Auf der Aulendorfer Handschrift beruht die 1882 gedruckte Edition von Michael R. Buck (vgl. Anm. 6), auf der Konstanzer die von Otto Feger (Bearb.), Ulrich Richental. Das Konzil zu Konstanz. Band II: Kommentar und Text, Konstanz 1964.
5 Thomas Martin Buck, Zur Geschichte der Richental-Edition, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 59 (2000), S. 433–448.
6 Michael R. Buck (Hrsg.), Ulrichs von Richental Chronik des Constanzer Concils – 1414 bis 1418, Tübingen 1882 (Nachdrucke Hildesheim 1962, 2004, 2008).
7 Vgl. Feger (wie Anm. 4), Band I: Faksimile-Ausgabe, S. 28f.

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